Auf dem 2. Internationalen Workshop über Kometenastromonie (IWCA II), der im August 1999 in Cambridge, England, abgehalten wurde, präsentierte ich ein Poster, das aufzeigte, daß die problematischen Schweiflängenschätzungen (welche größer als der Phasenwinkel waren), sinnvoll nur durch die Annahme physiologischer Effekte erklärt werden können. In Reaktion auf das IAU-Zirkular 7395 möchte ich dieses Poster nachfolgend präsentieren. Wie nachzulesen, können auch die Ulysses-Resultate diese Schätzungen physikalisch nicht plausibel erklären. Die bei der Perihelpassage festgestellte Abweichung des Schweifs von 60° von der Anti-Solar-Richtung muß aufgrund der erkennbar unterschiedlichen Umstände in Erdnähe (wesentlich geringere Geschwindigkeit und Bahnkrümmung) deutlich kleiner ausgefallen sein - falls es sie überhaupt gegeben hat. Die extremsten Schätzungen erfordern aber eine Abweichung von 40°! Zudem zeigt das Diagramm, daß der Schweif des Kometen während der Erdpassage synchron zur wechselnden Position des Beobachters hätte rotieren müssen (ob nun gekrümmt oder nicht), um die problematischen Schätzungen erklären zu können, was eine ziemlich geozentrische (bzw. anthropozentrische) Sichtweise darstellt! Schließlich kann die über Magnetfeldstörungen ermittelte Schweiflänge natürlich in keinster Weise mit der visuellen Schweiflänge gleichgesetzt werden! Fazit: die Ulysses-Daten machen die Schätzungen nahe des Phasenwinkels etwas plausibler, nicht jedoch die extremsten Schätzungen, wie auch Geraint Jones, einer der Autoren des entsprechenden Nature-Artikels, in einer privaten email zwischenzeitlich bestätigte.
Bezüglich des Schweifes des Kometen Hyakutake gibt es bis heute Diskussionen. Einige Beobachter, Erfahrene eingeschlossen, behaupteten, visuelle Schweiflängen gesichtet zu haben, die den Phasenwinkel erreichten oder gar überschritten. Die meisten derartigen Schätzungen wurden während der Tage der Erdpassage gemeldet.
Nachdem die Problematik erkannt worden war, begann eine Diskussion über die Realität dieser Schätzungen. Kritiker (u.a. der Autor) versuchten, diese Schätzungen mit dem Auftreten physiologischer Effekte des Auge-Gehirn-Systems (welches dazu tendiert, lineare Gebilde nahe der Erkennbarkeitsgrenze zu verlängern) und dem Einfluß, den die rasche Veröffentlichung derartiger Schätzungen im Internet auf andere Beobachter hat, zu erklären.
Die Befürworter dieser Schätzungen meinten hingegen, daß umfangreiche Schweif-Modellrechnungen deren Realität würden herausarbeiten können. Allerdings sind dem Autor bislang keine entsprechenden Ergebnisse bekanntgeworden.
Prinzipiell gibt es drei Möglichkeiten, die problematischen Beobachtungen zu erklären: einen überdurchschnittlich langen Schweif oder einen Schweif, der nicht genau in die Antisolarrichtung weist oder eine Kombination beider Effekte. Ein durchschnittlicher Komet mit einer heliozentrischen Helligkeit von 5m (wie sie Hyakutake während der Erdpassage aufwies) weist normalerweise einen Schweif mit einer visuell erkennbaren Länge von 20 Mill. km auf. Aber selbst die Annahme eines visuellen Schweifes von 100 Mill. km reicht nicht aus, die problematischen Schätzungen zu erklären! Diese sind nur unter der Annahme nachzuvollziehen, daß der 100 Mill. km lange Schweif zudem noch eine Abweichung von der Antisolarrichtung von bis zu 40° in Richtung der Erde hätte aufweisen müssen! Dies bedeutet aber, daß der "schiefe" Schweif synchron mit der wechselnden Position der Erde hätte rotieren müssen!!
Das Diagramm zeigt für jeden der betreffenden Tage, in welcher Weise der Schweif von der Antisolarrichtung hätte abweichen müssen (unter der Annahme eines 100 Mill. km langen visuellen Schweifs). Berücksichtigt man die durchschnittliche Schweiflänge eines Kometen der heliozentrischen Helligkeit von 5m so muß die dargestellte Abweichung sogar als die minimal mögliche angesehen werden. Interessanterweise stimmen die von den Beobachtern gemeldeten Positionswinkel aber stets mit einem genau von der Sonne weggerichteten Schweif überein!
Fazit: es ist wesentlich überzeugender, die problematischen Schätzungen als Ergebnis von physiologischen Effekten unseres Auge-Gehirn-Systems zu interpretieren, als diese physikalisch erklären zu wollen. Die visuelle Schweiflänge des Kometen Hyakutake dürfte somit im Maximum nicht größer als 75° (vielleicht 80°) gewesen sein.
Ettlingen, 06.06.2000